Nachdenken - November 2019

· Aktuelles

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Zugegeben, täglich schaue ich voller Spannung auf die News, die vom Impeachmentverfahren gegen Donald Trump berichten. Täglich staune ich auch, wie wenig die Menschen in Amerika bereit sind, ihre Meinung zu einem Thema oder, wie in diesem Fall, einer Person einem kritischen Reflektieren zu unterziehen. Spannend ist auch, wie Donald Trump an seiner Überzeugung festhält, grundsätzlich alles machen zu dürfen, weil er als Präsident unantastbar und unangreifbar ist. Selbst seine Vertrauten stellt er über das Gesetz: sie dürfen nur dann aussagen, wenn er seine Erlaubnis gibt. Ähnlich geht es mit seiner Steuererklärung. War es bislang üblich, dass der Präsidentschaft- Kandidat sie während seiner Kandidaturzeit veröffentlicht, weigert sich Trump, sein finanzielles Gebahren offen zu legen. Und seine Anhänger? Sie unterstützen ihn, sie halten an ihm fest, gehen sogar so weit, dass sie Menschen anderer politischer Richtung mit Morddrohungen überziehen.

Ist es in der deutschen Gesellschaft anders? „Morddrohung gegen Roth und Özdemir“ war neulich in der Zeitung zu lesen. In der Konsequenz also – Menschen mit anderer politischer Gesinnung einzuschüchtern – genau gleich. Fake News, konsequentes Leugnen des Holocoust und Anschläge gegen jüdische Einrichtungen – schlimm, und nicht alles lässt sich den üblen Machenschaften Einzelner in die Schuhe schieben. Gesinnung hat meist viele Mütter und Väter.

Wie sollen wir damit umgehen? Mit den gleichen Waffen zurückschlagen? Diffamieren, niederschrei(b)en, unterdrücken? Sicher nicht. Eben weil Gesinnung viele Mütter und Väter hat, sind wir aufgefordert, für unsere Gesinnung, unsere Haltung einzustehen. Haltung, das heißt zunächst eine Aussage über unser Menschenbild, unser Bild vom Gegenüber. Unsere christliche Haltung kann in Vielem beispielgebend sein. Wer sein Gegenüber und sich als geliebtes Geschöpf Gottes sieht, nimmt sie/ihn anders wahr. Toleranz mit der Verschiedenheit, Miteinander statt Machtstrukturen, Partizipation, Inklusion, Gendergerechtigkeit – all das ist selbstverständlich und gottgewollt, wenn wir uns als Geschöpfe sehen.

Das heißt aber nicht, dass alles erlaubt ist. Es gibt Gesetze, die unser Zusammenleben regeln, es gibt Schutzkonzepte, die Missbrauch vorbeugen sollen, es gibt als Lehre aus der Geschichte die unbedingte Ausrichtung all unserer Überlegungen auf die „Würde des Menschen“, die unantastbar ist.

Wenn ich in die USA schaue, dann wäre meine ganz klare Aussage: Trump muss zurücktreten oder er muss abgesetzt werden, weil sich nur so das Primat des Gesetzes wieder herstellen lässt. Alles andere ist für mich undenkbar. Dies gilt auch für Deutschland und es gilt auch für unsere katholische Kirche.

Das Primat des Gesetzes muss auch in unserer Kirche gelten. Nicht das falsch ausgelegte Kirchenrecht, das Täter schützt, Mitwisser und Verschweiger ebenso. Sondern das Gesetz der Offenheit, der Transparenz, der Achtsamkeit - das Fehlverhalten anspricht und nicht unter einen bischöflichen Mantel kehrt - das auch das scheinbar Unmögliche denkbar werden lässt: die Aufforderung zum Rücktritt eines Bischofs..

Im Bistum Münster rumort es gewaltig: da wurde ein des Missbrauchs beschuldigter und verurteilter Priester von Bistum zu Bistum weiterversetzt, ohne die Kirchengemeinden über die Verurteilung des Priesters zu informieren. O-Ton aus einer Veranstaltung in Emsdetten: „Wenn ich höre, dass ein den Bistumsleitungen bekannter Täter zwischen den Diözesen Köln, Münster und Essen hin- und hergereicht wird und immer wieder Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hatte, dann wäre der Rücktritt der beteiligten Bischöfe konsequent.“ Sich auf die Überlegung zurück zu ziehen, nicht genügend informiert gewesen zu sein, ist unerträglich und entschuldigt nichts. Wie lehrt uns das Finanzamt: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Das gilt auch hier. Ganz egal, wie gut oder schlecht ein Bischof informiert war, er hat eine „politische“ Verantwortung für sein Tun und das seiner Mitarbeiter*innen. Und genau das gilt hier: wenn ein Bischof es zulässt oder anordnet, dass ein geständiger oder verurteilter Priester ohne Wissen der Gemeinde Dienst tun darf (und damit auch mit Kinder und Jugendlichen in Kontakt kommen kann), dann macht er sich schuldig. Persönlich, wenn er es wissentlich angeordnet hat – politisch allemal, weil er der Bischof ist.

Fragen wir noch einmal die Haltung an: mit welcher Haltung sind die Bischöfe nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie unterwegs? – wie gehen sie mit der Frage nach persönlicher und/oder politischer Verantwortung um? - und die Frage an uns: welche Haltung und welches Handeln wünschen wir uns? Ab welchem Grad der Verantwortung für Dinge in der Vergangenheit wollen wir einem Bischof den Rücktritt nahelegen?

Wenn wir als katholische Kirche wieder gehört werden wollen, dann wird das nur sein, wenn man uns abnimmt, dass wir mit beiden Beinen authentisch auf dem Boden des Evangeliums stehen. Es gibt viele Gläubige, die haben unserer Kirche den Rücken gekehrt, weil sie dieses Authentische schmerzlich vermissen. Sie halten es nicht mehr aus, wie die Kirche, und hier sind insbesondere die Bischöfe gemeint, mit der Aufarbeitung des Missbrauchs umgeht.

Wer den Blick der Bischöfe Ackermann und Marx noch in Erinnerung hat auf die Frage einer Journalistin 2018, ob denn ein Bischof überlegt habe, zurückzutreten, die/der weiß, man kann es niemand verdenken!


Karlheinz Heiss, Diözesanvorsitzender