Der Mainzer Historiker Andreas Rödder hat die Politikberichterstattung in deutschen Medien kritisiert. Er forderte zugleich die Politiker auf, sich nicht von Umfragen treiben zu lassen. Medien und Öffentlichkeit müssten angesichts der großen Herausforderungen, vor denen die liberale Demokratie stehe, "offene Debatten über Konzepte und Strategien" wieder zulassen, schreibt Rödder in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal t-online (Dienstag).
In den Medien sieht Rödder einen falschen Fokus: "Statt zu fragen, welcher Kandidat welche politische Strategie für das Land anzubieten hat, geht es in der Medienöffentlichkeit um Hochglanzbilder aus Herrenchiemsee, um einzelne Sätze aus Talkshows und um sofort ermittelte Beliebtheitswerte."
Der Historiker beklagte eine Fixierung auf Skandale. "Nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie wird folglich jede sachliche Meinungsverschiedenheit zum Streit skandalisiert." Dies habe die Konsequenz, dass Politiker innerparteilich immer wieder zur "Geschlossenheit" aufriefen, so der Historiker, der an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz Neueste Geschichte lehrt. Der Streit verlagere sich deshalb von der politischen Bühne weg an die Ränder und außerhalb der Parlamente.
Dieser Teufelskreis müsse durchbrochen werden, so der Historiker weiter: "Vernünftige Debatten, in denen unterschiedliche Meinungen und Argumente miteinander ringen, um zu einem besseren Ergebnis zu kommen - das ist die Idee der Demokratie und das Erbe der Aufklärung".
Dies sei vor allem deshalb so wichtig, weil Europa vor strategischen Weichenstellungen und elementaren Herausforderungen stehe. "Manche liebäugeln mit dem chinesischen System, weil es so schön effektiv ist und Flughäfen fertigstellt, die in Berlin noch immer nicht eröffnet sind; oder sie haben Verständnis für den kraftvoll autoritären Wladimir Putin - egal, was mit Uiguren oder Dissidenten passiert." Zwar habe sich die Demokratie gegen alle Anfechtungen durch vermeintlich effektivere totalitäre Systeme im 20. Jahrhundert behauptet. Doch "wenn der European Way of Life sich auch im 21. Jahrhundert selbst behaupten will, dann braucht die Demokratie keine unterkomplexe Geschlossenheit, sondern offene Debatten über Konzepte und Strategien für den weiteren Weg". (Familienbund der Katholiken/KNA)