14.11.2023
Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung
I. Zusammenfassende Bemerkungen
Das Bundeskabinett hat am 27.09.2023 einen Regierungsentwurf zur Einführung einer Kindergrundsicherung verabschiedet. Der Familienbund hält es in Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf für ein zentrales Anliegen der Familienpolitik, Kinder aus der Armut zu holen und bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen. Dabei hält er es für wichtig, immer die gesamte Familie im Blick zu haben. Eine isolierte Betrachtung der Kinder führt zu Problemen, was sich auch im vorliegenden Gesetzentwurf zeigt.
Dem Familienbund sind im Rahmen dieser geplanten Reform der monetären Familienleistungen drei Dinge besonders wichtig:
- eine spürbare Leistungserhöhung, die die Grundbedarfe der Kinder tatsächlich sichert und Familien mit kleinen bis hin zu mittleren Einkommen stärker unterstützt,
- eine möglichst einfache, unbürokratische Ausgestaltung, um mehr anspruchsberechtigte Familien zu erreichen, und
- die Beibehaltung der vollen steuerlichen Freibeträge für Kinder.
Hinsichtlich des zuletzt genannten Punktes begrüßt der Familienbund, dass die Kinderfreibeträge ungekürzt erhalten bleiben. Bei den Steuerfreibeträgen geht es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht um Familienförderung, sondern um (horizontale) Steuergerechtigkeit zwischen Personen mit gleichem Einkommen, aber unterschiedlicher Kinderzahl.[1] Kinder führen zu einer reduzierten steuerlichen Leistungsfähigkeit, die nach den allgemeinen Prinzipien der Besteuerung zu berücksichtigen ist. Erst nach der Gewährleistung einer gerechten Besteuerung für alle Familien ist sinnvollerweise die Frage zu stellen, welche Familien darüber hinaus eine Familienförderung benötigen.[2]
Positiv ist, dass der Gesetzentwurf die bestehende parlamentarische Praxis, bei einer Erhöhung der Kinderfreibeträge auch das Kindergeld (bzw. den Kindergarantiebetrag) entsprechend anzuheben, gesetzlich regelt (§ 66 EStG-E). Das gewährleistet, dass bei Freibetragserhöhungen alle Familien profitieren.
Bei den Punkten Leistungserhöhung und -vereinfachung sieht der Familienbund das Ergebnis des Gesetzentwurfs kritisch. Die Initiativen der Bundesfamilienministerin für eine angemessene Finanzierung des Reformvorhabens hat der Familienbund – auch im Rahmen eines breiten katholischen Bündnisses[3] – unterstützt und tritt weiter dafür ein. Leider gibt es im Entwurf aber nur teilweise Besserstellungen, v.a. im Bereich der Anrechnungsregelungen im Grundsicherungsbezug, aber nicht bei der Höhe der Zahlbeträge, Eine transparente Darstellung, in welchen Einkommensbereichen es durch die Neuregelung Besserstellungen gibt und wo es im Vergleich zum geltenden Recht zu Schlechterstellungen kommt, hat die Bundesregierung – anders als bei der letzten Reform des Kinderzuschlages 2019 – nicht vorgelegt. Der Familienbund hält es für wichtig, dass an dieser Stelle Transparenz geschaffen wird. Er befürchtet Schlechterstellungen bei ehemaligen Bezieher:innen des Kinderzuschlags, also für Familien mit kleinen Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherung.
Statt echter Leistungsverbesserungen sieht der Entwurf für die Familien an vielen Stellen begriffliche Umetikettierungen und weitgehend symbolische Änderungen von Zuständigkeiten sowie im Verwaltungsverfahren vor, deren Wirksamkeit und Funktionalität mindestens fragwürdig sind. Es entsteht der Eindruck, dass diese umfangreiche „Neuausrichtung“ vorrangig dazu dient, den im Vergleich zur vorausgehenden zivilgesellschaftlichen Kindergrundsicherungsdebatte geringen Gehalt der Reform zu überdecken. Dies führt zu teilweise fragwürdig gelösten politischen Zielkonflikten, etwa wenn für das Ziel „Kinder aus dem SGB II holen“ in Kauf genommen wird, dass Familien im Grundsicherungsbezug für ihre Kinder jetzt eine weitere Stelle aufsuchen müssen, was das Verfahren für Familien weiter verkompliziert, anstatt es zu vereinfachen. Von begrifflichen oder symbolischen Veränderungen können sich Familien aber nichts kaufen.
Insgesamt erscheint die im Gesetzentwurf vorgesehene Ausgestaltung der Kindergrundsicherung grundsätzlich nah am bestehenden Leistungssystem aus Kindergeld und Kinderzuschlag: Das Kindergeld wird zum Garantiebetrag, der Kinderzuschlag geht im zukünftigen Zusatzbetrag auf. Die Höhe des Zusatzbetrages orientiert sich allerdings nicht mehr am sächlichen Kinderexistenzminimum des Steuerrechts, sondern am altersgestaffelten Existenzminimum des Sozialrechts. Viele Regelungen, die bereits heute beim Kindergeld und beim Kinderzuschlag Anwendung finden, sollen weiter gelten. Wesentliche Änderungen liegen in dem Wechsel der Zuständigkeit von den Jobcentern hin zu den neu zu gründenden Familienservice-Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) sowie im Übergang der Anspruchsinhaberschaft von den Eltern auf das Kind beim Kinderzusatzbetrag und den Leistungen für Bildung und Teilhabe. Die Verwaltungsumstellung erzeugt laut Gesetzentwurf jedes Jahr erhebliche Kosten in Höhe von 408 Millionen Euro. Diese werden in Zukunft weiter ansteigen und aus dem Haushalt des BMFSFJ bezahlt. Somit gehen sie direkt zu Lasten anderer familienpolitischer Maßnahmen. Der Gegenwert für die Familien ist fraglich. Die Teilung der Anspruchsinhaberschaft zwischen Eltern und Kind sieht der Familienbund kritisch, gerade auch mit Blick auf den Grundsatz der Elternverantwortung für ihre Kinder gem. Art. 6 Abs. 2 GG. Er spricht sich deshalb für eine einheitliche Anspruchsinhaberschaft der Eltern aus (siehe auch II. 2. der Stellungnahme).
Die nach Lektüre des Koalitionsvertrages auch vom Familienbund erhoffte Neuberechnung des Existenzminimums für Kinder bleibt aus, obwohl es die Grundlage für eine so grundsätzliche Reform sein müsste. Die stattdessen gewählte Anpassung der Verteilschlüssel im ist aus Sicht des Familienbundes kein adäquater Ersatz, auch wenn diese im geringen Maße leistungserhöhend wirken können. Die Veränderungen haben bei gleichzeitiger Kürzung des Sofortzuschlags in Höhe von monatlich 20 Euro und vor dem Hintergrund gestiegener Preise nur einen marginalen Effekt.
Der Familienbund kommt in der Gesamtbetrachtung zu dem Schluss, dass man mit dem zur Verfügung stehenden Finanzvolumen mehr für die Familien erreichen würde, wenn gezielt der bestehende Kinderzuschlag weiterentwickelt und verbessert würde. Beispielsweise könnte man auch im Rahmen des Kinderzuschlags die bestehenden Mindesteinkommensgrenzen reformieren und die Regelungen zur Abschmelzung und Einkommensanrechnung für Familien günstiger gestalten.[4] Insbesondere Familien, die für wenig Geld an der Grenze der Grundsicherung arbeiten gehen, verdienen bei begrenzten finanziellen Mitteln eine Priorisierung.
Die Idee, die Funktionen des auf Sicherung des Existenzminimums im Einzelfall gerichteten Grundsicherungssystems im Rahmen einer pauschalen Familienleistung erfüllen zu wollen, funktioniert nicht gut, was sich auch darin zeigt, dass das SGB II/XII für Kinder weiterhin als letztes Sicherungsnetz parallel läuft und somit die „eigentliche Grundsicherung“ bleibt. Daraus ergeben sich für arme Familien Doppelzuständigkeiten (und nicht nur in ganz seltenen Ausnahmefällen).
Der Familienbund sieht für den weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens vor allem bei folgenden Aspekten Korrekturbedarf:
- Komplexität und Mehraufwand für Familien durch Begriffs- und Zuständigkeitswechsel verhindern: Familien alle Leistungen aus einer Hand gewähren
- Begründung und Folgen der gespaltenen Anspruchsinhaberschaft (Eltern/Kinder) prüfen
- Familien mit geringem Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsleistungen besser fördern
- Allgemeine Leistungsverbesserungen für Familien in relativer Armut im Blick behalten
II. Kritik und Anregungen für das weitere Gesetzgebungsverfahren
1. Komplexität reduzieren statt neu schaffen.
Die Verlagerung der Zuständigkeit weg von den Jobcentern hin zu den Familienkassen ist mit Blick auf vorhandene Kapazitäten und Kompetenzen kritisch zu sehen und droht für Familien zum Nachteil zu werden. Während bisher für Eltern und Kinder beim Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II mit den Jobcentern eine einheitliche Stelle zuständig war, folgt aus dem Gesetzentwurf eine Aufspaltung der Zuständigkeiten und Verwaltungsvorgänge. Für Familien in diesem Leistungskreis ist nach wie vor das Jobcenter zuständig, soweit es um den Bedarf der Eltern geht. Daneben sind die Bedarfe der Kinder künftig gegenüber der Familienservice-Stelle geltend zu machen. Und dort, wo die Pauschalleistungen des Kinderzusatzbetrages nicht ausreichen, etwa weil auf Seiten der Kinder Sonder- oder Mehrbedarfe vorliegen, müssen diese wiederum zusätzlich beim Jobcenter beantragt werden. Dadurch wächst sowohl der Aufwand für Familien als auch die Zahl der Schnittstellen. Zudem bleibt offen, inwiefern und von wem Familien künftig über diese Zusatzleistungen informiert werden, insbesondere da § 35 BKG-E ausdrücklich die Bedarfsdeckung durch die Leistungen der Kindergrundsicherung vermutet. Hierdurch sieht der Familienbund die Gefahr, dass Leistungen, die zur Bedarfsdeckung der Kinder nötig sind, möglicherweise erneut nicht in Anspruch genommen werden. Auf diese Weise wird das erklärte Ziel der Schaffung einer einheitlichen und vereinfachten Leistung, insbesondere im Zusammenspiel mit der Aufspaltung der Anspruchsinhaberschaft für die einzelnen Leistungsbestandteile (s. Punkt 2), eher nicht erreicht.
- Der Familienbund rät dringend dazu, die Verfahrensabläufe bei der Kindergrundsicherung so zu gestalten, dass Familien die Leistung mindestens im Ergebnis aus einer Hand erhalten und sie auf eine zentrale Anlaufstelle für alle Belange im Zuge der Leistungsgewährung zurückgreifen können. Zur Ersparung von Verwaltungskosten sind Doppelzuständigkeiten möglichst zu vermeiden.
Auch die im Entwurf vorgesehenen zahlreichen Umetikettierung und Neuzuordnungen bringen kaum Gewinn für Familien, sondern stiften eher inhaltliche wie rechtliche Verwirrung. An vielen Stellen des Entwurfs werden Regelungen zum Kindergeld und dem Kinderzuschlag übernommen, jedoch mit neuen Begriffen versehen (bes. Abschnitt 2 BKG-E). Überdacht werden sollte aus Sicht des Familienbundes die Neubenennung des Kindergeldes in den Kindergarantiebetrag. Damit gibt die Politik ohne Not einen etablierten, bei Familien bekannten und positiv besetzten Begriff auf. Zudem werden erhebliche Folgeänderungen in einer Vielzahl an Gesetzen mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand nötig. Den Familien muss erst erklärt werden, dass sich beim Kindergeld zwar der Name, aber nicht der Inhalt ändert. Klarheit und Transparenz im Interesse der Familien sehen anders aus.
- Der Familienbund plädiert daher dafür, die Beibehaltung des Begriffes Kindergeld zu prüfen.
Mit dem Wegfall der Mindesteinkommensgrenzen und der Abkehr von der Voraussetzung der Deckung des sozialrechtlichen Bedarfs, die bisher Bedingungen für den Erhalt des Kinderzuschlags waren, entsteht zunächst eine Vereinfachung für Familien. Dennoch bleibt die Ungewissheit, in welchem Einkommensbereich der Kinderzusatzbetrag bezogen werden kann, auch bei der Kindergrundsicherung bestehen. Laut Gesetzentwurf bietet selbst der geplante Kindergrundsicherungs-Check mitsamt den digitalen Datenabrufen ausdrücklich keine Verbindlichkeit (§ 43 BKG-E).
Skeptisch ist der Familienbund auch, ob die geplanten (Teil-)Automatismen Familien tatsächlich beim Erhalt der ihnen zustehenden Leistungen und bei der Reaktion auf akute leistungsbeeinflussende Tatbestände (wie Arbeitsplatzverlust, Geburt eines weiteren Kindes, Trennung) unterstützen oder eher zur versehentlichen Nichtbeachtung relevanter Meldetatbestände führen. Hier kommt es sehr auf die konkrete Ausgestaltung der Prozesse an.
Unverändert soll laut Entwurf der mit 6 Monaten eher kurze Bewilligungszeitraum bleiben, der bereits heute für den Kinderzuschlag gilt.
- Der Familienbund schlägt zu Erleichterung der Beantragung und Leistungsgewährung für Familien eine deutliche Ausweitung des Bewilligungszeitraums auf bis zu 12 Monate vor.
2. Getrennte Anspruchsinhaberschaft überdenken
Der Gesetzentwurf sieht eine unterschiedliche Ausgestaltung der Ansprüche auf die einzelnen Komponenten der Kindergrundsicherung vor (§ 3, § 9 und § 20 BKG-E). Diese Aufspaltung verkompliziert die Leistung zusätzlich. Von einer einheitlichen Leistung kann unter diesen Umständen kaum noch gesprochen werden.
Es entstehen zudem Verwerfungen im Verhältnis zwischen Staat, Eltern und Kindern. Dies gilt u.a. mit Blick auf den § 18 BKG-E. Dort heißt es, die Unterhaltspflicht bliebe von der Gewährung des Kinderzusatzbetrages unberührt. Diese Formulierung soll laut Entwurfsbegründung die bisherige Regelung beim Kinderzuschlag übernehmen, dass dieser nicht mit der Barunterhaltspflicht bei Scheidung der Eltern verrechnet werden kann. Der Kinderzuschlag ist aktuell als Anspruch der Eltern ausgestaltet. Mit der Ausgestaltung des geplanten Zusatzbetrags als Anspruch des Kindes jedoch erhält dieser Satz in § 18 BKG-E eine veränderte Bedeutung. Er könnte so ausgelegt werden, dass die grundsätzliche Pflicht der Eltern zu Unterhaltsleistungen gegenüber dem Kind durch die Zahlung des Zusatzbetrags nicht berührt wird und damit diese möglicherweise zusätzlich erfolgen müssen. Das hieße, dass der Zusatzbetrag von den Eltern gerade nicht zur Deckung des (existenziellen) Unterhalts des Kindes verwendet werden dürfte.
Zudem können aus der neuen Anspruchsgestaltung möglicherweise neue Pflichten der Eltern gegenüber dem Kind entstehen, die ihre Rechte zur innerfamiliären Gestaltung berühren. So könnte etwa aus dem Anspruch des Kindes auf den Zusatzbetrag und BuT-Leistungen eine Verpflichtung zur Beantragung von einzelnen Leistungskomponenten auch bei Kleinstbeträgen und trotz unverhältnismäßigen Beantragungsaufwandes erwachsen. Aus Sicht des Familienbundes muss weiterhin gelten, dass die Eltern und Familien für die Unterhaltsbedarfe der Kinder zuständig sind. In dieser Rolle sollten Eltern und Sorgeberechtigte gestärkt werden.
- Der Familienbund fordert, die Teilung der Anspruchsinhaberschaft zwischen den Leistungskomponenten zu überdenken und den Anspruch insgesamt bei den Eltern zu belassen. Mindestens bedarf es einer klaren Formulierung des § 18 BKG-E entsprechend der angegebenen Begründung.
3. Familien mit geringem Einkommen jenseits der Grundsicherungsleistungen besser fördern
Familien mit eigenem Erwerbseinkommen oberhalb der Grundsicherungsgrenze profitieren von der Leistungsreform kaum oder werden wahrscheinlich teilweise sogar schlechtergestellt. Gerade für die Gruppe der bisherigen Bezieher des Kinderzuschlags sollte es jedoch deutliche Leistungsverbesserungen geben, um die Aufnahme oder Ausweitung von Erwerbstätigkeit zu unterstützen. Es muss vermieden werden, dass der Grundsicherungsbezug plus geringem Zuverdienst günstiger ist als Vollzeitarbeit für ein kleines Einkommen. Das gilt umso mehr, da der Entwurf an verschiedenen Stellen ausdrücklich die Stützung von Erwerbsanreizen fordert. Die Neuregelung bei der Anrechnung von Unterhaltszahlungen oberhalb des Mindestunterhalts (2. Altersgruppe) führt dagegen gerade für die Gruppe der Familien mit eigenem kleinen Erwerbseinkommen zu Verschlechterungen im Vergleich zur bestehenden Regelung. Leistungsausweitungen sieht der Gesetzentwurf vorrangig für Familien im Grundsicherungsbezug vor, insbesondere durch verbesserte Regelungen zur Einkommensanrechnung (z.B. beim Unterhalt nur noch 45 Prozent statt bisher 100 Prozent). Zusammen mit einer kürzlich erfolgten Ausweitung der Zuverdienstmöglichkeiten im Bürgergeldbezug könnten hier Verwerfungen entstehen.
- Der Familienbund fordert den Gesetzgeber auf zu prüfen, wie insbesondere Familien mit niedrigen Einkommen besser unterstützt werden können und inwieweit die bisherige Gestaltung des Gesetzes zu einem ungünstigen dauerhaften Verbleib von Familien im Grundsicherungsbezug beiträgt.
Ein wichtiger Hebel zur Unterstützung der Familien mit geringem Einkommen ist zudem die Abschmelzrate: je geringer sie ist, desto mehr lohnt es sich, trotz staatlicher Unterstützung (weiterhin) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und diese auszuweiten. Bei einer geringeren Abschmelzrate werden zudem mehr Familien mit kleinen Einkommen unterstützt (und mögliche Schlechterstellungen von bisherigen Beziehern des Kinderzuschlags können vermieden werden). Der Entwurf sieht hier jedoch keine Verbesserung zur Abschmelzrate beim Kinderzuschlag vor.
- Der Familienbund schlägt eine Abschmelzrate von 30 Prozent vor.
4. Leistungsverbesserungen für Familien in Armut im Blick behalten
Der Höchstbetrag des Kinderzuschlags basierte bisher auf dem sächlichen Existenzminimum im Steuerrecht. Dagegen soll sich die Höhe des Kinderzusatzbetrags zukünftig am sozialrechtlichen Regelbedarf der jeweiligen Altersgruppe orientieren. Damit verbunden ist eine Absenkung des Leistungsniveaus für Kinder bis zum Alter von 13 Jahren. Insbesondere für die beiden jüngeren Altersgruppen ist mit der Kindergrundsicherung nach dem Gesetzentwurf kaum eine Verbesserung des Leistungsumfangs zu erkennen. Im Gegenteil: bei der Berechnung mit Daten aus dem Jahr 2023 gäbe es sogar eine Verschlechterung im Vergleich zur bisherigen Maximalsumme von Kindergeld und Kinderzuschlag (500 Euro). Der Familienbund hat darauf ebenfalls in seiner Stellungnahme zur Verbändeanhörung des BMFSFJ (8. September 2023) detailliert hingewiesen. Leistungszuwächse bis zum Inkrafttreten der Kindergrundsicherung in 2025 stammen daher vorrangig aus rechtlich gebotenen Anhebungen etwa der Kinderregelsätze, die auch im bestehenden System zu einer Anhebung aktueller Leistungen geführt hätten. Vor diesem Hintergrund ist die Beibehaltung des Sofortzuschlags als Notlösung zu prüfen.
- Der Familienbund fordert sicherzustellen, dass Familien mit der Kindergrundsicherung in keinem Fall schlechter gestellt werden, als im bisherigen System.
Insbesondere vor dem Hintergrund ausgebliebener Leistungsverbesserungen fällt die hohe Quote an Verwaltungskosten ins Auge. Im Vergleich zu den geplanten Ausgaben liegt der Anteil der Verwaltungskosten im ersten Jahr bei rund 20 Prozent. Die Höhe beträgt rund 408 Millionen Euro und wird bei wachsender Inanspruchnahme der Leistung noch steigen (D. Haushaltsausgaben, S. 5). Laut Gesetzentwurf sollen die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) anfallenden Verwaltungskosten zudem aus dem Haushalt des BMFSFJ entnommen werden (ebd.). Dadurch geht die „neue Systematik“ der Kindergrundsicherung zu Lasten anderer familienpolitischer Maßnahmen.
- Der Familienbund wirft die Frage auf, ob die hohen Verwaltungskosten nicht für deutlich stärkere Leistungsverbesserungen für Familien hätten verwendet werden können, wenn auf die symbolische Verschiebung der Zuständigkeit von den Jobcentern zur BA verzichtet wird.
Die durch den Koalitionsvertrag geweckten Hoffnungen auf eine Neuberechnung („Neudefinition“) des Existenzminimums für Kinder werden mit dem Gesetzentwurf leider nicht umgesetzt. Stattdessen sieht der Entwurf die Überarbeitung der Verteilungsschlüssel im Zuge der Regelbedarfsermittlung auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vor. Die Verteilungsschlüssel dienen dazu, die in der EVS ermittelten Ausgaben von Familienhaushalten jeweils den Einzelpersonen (Eltern oder Kindern) zuzurechnen, um daraus den gültigen sozialrechtlichen Bedarf für Kinder wie Erwachsene zu ermitteln. Im Gegenzug zu dieser Neuzuordnung soll der im Zuge des akuten Inflationsgeschehens 2022 eingeführte Sofortzuschlag entfallen. Die geplanten Veränderungen betreffen die Abteilungen Wohn- und Energiekosten sowie Innenausstattung und laufende Haushaltsführung (Artikel 14 BKG-E, s. Begründung S. 178f.). Der Anteil der Kinder an diesen Ausgabengruppen soll neu berechnet werden. Der Familienbund hält die minimale Anpassung für unzureichend, um das Ziel einer Neudefinition des Existenzminimums zu erfüllen. Er hat sich bereits mehrfach zur Notwendigkeit einer umfassenden Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums im Rahmen eines stringenten Statistikmodells geäußert. Er verweist hier u.a. auf die vorangegangene Stellungnahme für die Verbändeanhörung des BMFSFJ und weitere Papiere zur Kindergrundsicherung.
- Der Familienbund hält an seiner Forderung nach einer fundierten und methodisch konsistenten Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums fest und plädiert dafür, diese im Zuge der geplanten Weiterentwicklung der Kindergrundsicherung, spätestens im Rahmen der Gesetzesevaluation, umzusetzen.
Speziell mit Blick auf die häufig von Armut betroffenen Alleinerziehenden-Familien schlägt der Familienbund vor, zusätzlich die auch von verschiedenen Bundestagsparteien vorgebrachte nur noch hälftige Anrechnung des Kindergeldes / Kindergarantiebetrages auf den Unterhaltsvorschuss umzusetzen. Auf diese Weise könnte gerade dieser von Armut betroffenen Gruppe effizient (und nach der Systematik des Unterhaltsrechts gut begründbar) geholfen werden. Die im Entwurf vorgesehene Verbesserungen für Alleinerziehende sind zu begrüßen.
[1] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86.
[2] Der Familienbund ist der Auffassung, dass bei einer vollständigen Gewährleistung von Abgabengerechtigkeit, die neben Kinderfreibeträgen im Steuerrecht auch Kinderfreibeträge in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung erfassen müsste, viele Familien keine darüber hinaus gehende Förderung benötigen würden.
[3] Vgl. u.a. Pressemitteilung des Familienbundes vom 3. März 2023: „Armutsbekämpfung und bessere Chancen für Kinder und Jugendliche gibt es nicht zum Nulltarif“. Unterzeichnet von Dr. Heiner Koch (Erzbischof von Berlin und Familienbischof der Deutschen Bischofskonferenz), Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung e.V. (AKF), Deutscher Caritasverband e. V. (DCV), Familienbund der Katholiken (Bundesverband) e. V., Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB Deutschlands e. V.), Katholischer Deutscher Frauenbund e.V. (KDFB), Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e. V. (SkF), SKM Bundesverband e.V.
[4] Ein positives Beispiel für eine zielgenaue und effiziente Reform des Kinderzuschlages war das sog. „Starke-Familien Gesetz“ von 2019, das freilich außer der überfälligen Abschaffung der sog. „Abbruchkante“ nur zögerlich an den sonstigen Stellschrauben gedreht hat. Vor dem Hintergrund eines begrenzten Budgets hätte es durchaus Sinn ergeben, diesen Weg fortzusetzen.
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