Für eine wirksamere Unterstützung armutsgefährdeter Familien fordert der Familienbund der Katholiken (FDK) eine grundlegende Reform von Kindergeld und Kinderzuschlag. Das neue Kindergeld soll beide Leistungen zusammenführen und sich in der Höhe nach dem Familieneinkommen richten. Das beschlossen die Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsverbände auf der dreitägigen Bundesdelegiertenversammlung des Familienbundes, die gestern in Münster zu Ende ging. Die Tagung stand unter dem Titel „Vom Kind aus denken? – Ein Perspektivwechsel mit Chancen und Risiken“. Intensiv diskutierten die Delegierten darüber, in welchen Rechtsbereichen die Interessen von Kindern stärker in den Blick genommen werden sollten.
Berlin, 23. Oktober 2017 – „Das Kindergeld und der Kinderzuschlag für Geringverdiener sollten zusammengelegt werden“, sagte Familienbund-Präsident Stefan Becker. „Selbst das Bundesfamilienministerium gibt zu, dass bislang nur 30 Prozent der anspruchsberechtigten Familien die Unterstützung tatsächlich auch erhalten. Das Antragsverfahren ist einfach zu kompliziert und die Anspruchsvoraussetzungen sind kaum verständlich. Damit alle Familien und vor allem alle berechtigten Kinder diese Leistung erhalten, fordern wir, Kindergeld und Kinderzuschlag unbürokratisch zusammenzulegen. Damit stiege das Kindergeld für untere Einkommen auf 362 Euro pro Monat.“ Das neue Kindergeld soll nur noch der Familienförderung dienen und dadurch die familienpolitische Diskussion über eine gerechte Förderung von Familien erleichtern. Die verfassungsrechtlich erforderlichen Kinderfreibeträge sollen den Familien uneingeschränkt erhalten bleiben und über das Steuerrecht gewährt werden. „Das neue Kindergeld hat eine klare sozialpolitische Zielrichtung“, so Stefan Becker. „Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich werden deutlich besser gestellt. Auf Grundsicherungsleistungen wird das neue Kindergeld nicht mehr voll angerechnet.“
Auf die Dringlichkeit der Reform des Kindergeldes gerade mit Blick auf Geringverdiener macht auch die heute von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie „Armutsmuster in Kindheit und Jugend – Längsschnittbetrachtungen von Kinderarmut“ deutlich. Sie zeigt, dass zwei Drittel der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen dauerhaft oder wiederkehrend in einer Armutslage leben. Nur ein Drittel erlebt Armut als kurzzeitige Erfahrung. Damit verdeutlicht die Studie einmal mehr, dass eine wirksame Vermeidung von Kinderarmut und damit verbunden eine neue Familienpolitik dringend geboten ist. Die Studie hat das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) durchgeführt.
„Wer vom Kind aus denkt, denkt an die Familie.“
Zu den Gastreferenten der Tagung des Familienbundes der Katholiken gehörte der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Wiesner. Er hatte 1990 als Referatsleiter des Bundesfamilienministeriums das erste Kinder- und Jugendhilfegesetz Deutschlands gestaltet und durch zahlreiche Reformen begleitet. In seinem Gastvortrag „Vom Kind aus denken in der Diskussion der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)“ kritisierte der Jurist unter anderem die aktuellen Diskussionen zu einer Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts. Nach dem Grundgesetz sei es die primäre Aufgabe des Staates, die Eltern dazu zu befähigen, ihrer Erziehungsverantwortung gerecht zu werden. Eine Abweichung von diesem Konzept sei durch die Formel „Vom Kind aus denken“ verdeckt worden. In diesem Zusammenhang konstatierte Wiesner auch einen „Missbrauch des Inklusionsgedankens“. Im Subtext der Reform liest Wiesner zudem den politischen Willen zu Kosteneinsparungen heraus. Der jüngste Reformvorschlag des Kinder- und Jugendhilfegesetztes soll am 3. November 2017 im Bundesrat beraten werden.
Der Finanz- und Steuerrechtler Prof. Dr. Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg plädierte in seinem Gastvortrag für eine „vorsichtige, mittelbare Familienpolitik“, die auf eine generelle Familienfreundlichkeit in der Gesellschaft hinwirken sollte. Er betonte die Verant-wortung der Gesellschaft für Familien. „Familie ist da, wo Eltern rechtsverbindlich Verant-wortung für Kinder übernehmen.“ Den Leitgedanken der Tagung griff Kirchhof präzisierend auf: „Wer vom Kind aus denkt, denkt an die Familie.“