Der Familienbund der Katholiken (FdK) in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist entsetzt über Äußerungen des ehemaligen Bischofs der Diözese, Kardinal Walter Kasper, zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) berichtet über ein Interview Kaspers mit der Frankfurter Rundschau vom 4. Juni 2019. Kasper erläuterte laut KNA, in seiner Zeit als Bischof habe er beim Umgang mit Verdachtsfällen das Problem gehabt, dass die Familien der Opfer oft "massiv gemauert“ hätten: "Sie wollten um jeden Preis verhindern, dass das Geschehene in irgendeiner Weise ruchbar wird. Damit waren mir als Bischof mit den rechtlichen Möglichkeiten von damals ziemlich die Hände gebunden.“
Karlheinz Heiss, Vorsitzender des Rottenburg-Stuttgarter Verbandes, nennt die Äußerung Kaspers entlarvend. Sie lege offen, wie das System „katholische Kirche“ im Umgang mit Missbrauchsfällen funktioniert habe; die Aussagen des Kardinals seien „ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und ihrer Familien“, betont Heiss. Betroffene und ihre Familien hätten in den Gemeinden vor einer Drohkulisse gestanden, wenn ein Verdacht offen ausgesprochen wurde. Sie seien als Nestbeschmutzer diffamiert und gesellschaftlich geächtet worden. Damit sei zu vermuten, dass Familien von sich aus von Anzeigen abgesehen hätten, so Heiss. Der kritische Blick müsse sich aber vor allem auf das Handeln der Kirchenleitungen richten. Eigenes Nichthandeln damit zu rechtfertigen, dem unterstellten Willen der betroffenen Familien nachgekommen zu sein, ist Heiss zufolge zynisch. Sich „öffentlich die Hände in Unschuld zu waschen schadet einer Aufarbeitung der Geschehnisse“, unterstreicht der FdK-Vorsitzende.
Dorothea Kirchner-Leis, stellvertretende FdK-Vorsitzende, kritisiert, dass Kirchenleitungen selbst geständige Täter einfach in andere Gemeinden versetzt hätten, ohne die Menschen dort zu informieren. Die Taten seien heruntergespielt und vertuscht worden, „um den Nimbus des zölibatär lebenden Priesters nicht anzukratzen“. Kirchener-Leis entgegnet Kardinal Kasper: „Es war die Kirchenleitung, die um jeden Preis verhindern wollte, dass das Geschehene in irgendeiner Weise ruchbar wurde.“