Eine große Überraschung ist es nicht: Die Parteien der Ampelkoalition hatten die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung jeweils in ihren Wahlprogrammen versprochen und im Koalitionsvertrag festgehalten. Bereits im März brachte das Kabinett den Entwurf auf den Weg. Am Donnerstag entscheiden die Parlamentarier im Bundestag darüber, den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Zugleich sollen demnach Urteile, die aufgrund dieser Norm erlassen worden sind, aufgehoben werden. Die Zustimmung dafür gilt als sicher.
Inhaltlich untersagt der Paragraf bisher das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in grob anstößiger Weise geschieht. Damit soll auch sichergestellt werden, dass Abtreibung nicht als normale Dienstleistung angesehen wird.
Der neue Gesetzentwurf der Regierung soll nun zwei Dinge sicherstellen: Zum einen müssen Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche im gesetzlichen Rahmen vornehmen, künftig nicht länger mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wenn sie sachliche Informationen über Ablauf und Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs bereitstellen. Zum anderen sollen betroffene Frauen so leichter Zugang zu sachgerechten fachlichen Informationen erhalten.
Zugleich sollen begleitende Änderungen des Heilmittelwerbegesetzes gewährleisten, dass Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zukünftig nur unter den strengen Vorgaben erlaubt sein soll. Irreführende oder abstoßende Werbung für alle Arten von Schwangerschaftsabbrüchen bleibe weiter verboten, versicherte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er hatte darauf hingewiesen, dass damit sichergestellt werde, dass die Aufhebung des Werbeverbots nicht zu Lücken im grundrechtlich gebotenen Schutzkonzept für das ungeborene Leben führen werde.
Dabei hatten Union und SPD in der vergangenen Legislaturperiode versucht, den Konflikt über den Paragrafen 219a zu befrieden. Schon damals war allerdings klar, dass der ausgehandelte Kompromiss, der eine gewisse Liberalisierung vorsieht, wohl nicht lange halten wird: Denn eigentlich wollte die SPD den Passus schon damals vollständig streichen und die Union ihn unverändert beibehalten.
Ausgelöst hatte die Debatte ein Urteil des Amtsgerichts Gießen. Ende 2017 verurteilte es die Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe. Abtreibungsgegner hatten auf ihrer Homepage entdeckt, dass sie Abbrüche anbietet, und daraufhin Hänel angezeigt. Inzwischen liegen ihre Klage und die weiterer Ärzte auch vor dem Bundesverfassungsgericht.
Spitzenvertreter der katholischen und der evangelischen Kirche sind gegen die Streichung. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, betonte zu Jahresbeginn, die beabsichtigten Änderungen nähmen den Schutz des ungeborenen Lebens zurück und könnten "nicht für sich in Anspruch nehmen, fortschrittlich und modern zu sein". Der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Dutzmann, hatte zum Festhalten an der derzeitigen Regelung aufgerufen.
In der Ersten Lesung bezeichnete Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) die Streichung dagegen als längst überfälligen Schritt. "Wer anders als die Schwangere selbst soll entscheiden, ob sie ein Kind austragen kann oder nicht. Wer anders als ein Mediziner oder Medizinerin soll ihnen da beistehen." Und sie ging noch einen Schritt weiter: Sie sprach sich dafür aus, dass die gesamte Abtreibungsregelung, also Paragraf 218, außerhalb des Strafgesetzbuchs geben müsse.
In ihrem Koalitionsvertrag sind SPD, Grüne und FDP auch darauf eingegangen: Demnach soll eine Kommission prüfen, ob "Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches" möglich sind. Fraglich ist allerdings, ob die Ampelkoalition in dieser Legislaturperiode tatsächlich eine solche Reform anpacken wird. Denn nach der Wiedervereinigung rangen die Parlamentarier in den 90er-Jahren sehr lange um einen Kompromiss in der Abtreibungsfrage, der schließlich die unterschiedlichen Lager befriedete. (KNA)